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Elektromobilität: Hoffen und Bangen

VW-Chef Herbert Diess und die Bosse der anderen Automobilunternehmen sind nicht zu beneiden. Die Wunden des Dieselgate sind noch nicht verheilt, da sorgt sich die Branche bereits vor neuem Ungemach. Es lässt sich in der bangen Frage zusammenfassen: „Was passiert, wenn unsere Kunden nicht genug Elektroautos kaufen?“ Die neuesten Marktdaten des Kraftfahrtbundesamts signalisieren Entwarnung und Risiko zugleich.

Bei den Neuzulassungen verzeichneten Elektroautos auch im März gigantische Zuwachsraten. Doch ihr Anteil an den Gesamtzulassungen ist noch immer verschwindend gering. So ist es kein Wunder, dass Herbert Diess jede Gelegenheit nutzt, um in der Öffentlichkeit für Elektroautos zu werben. Schließlich geht es um Kopf und Kragen eines der traditionsreichsten und wichtigsten Industriezweige in Deutschland. Er beschäftigt über 820 000 Menschen und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von über 400 Mrd. Euro.

Konkret: Zu Beginn dieses Jahres waren zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen 150 000 Elektroautos und Plug-in-Hybride unterwegs. 150 000 Autos – das sind gerade einmal 0,3 Prozent des gesamten deutschen Pkw-Bestands. Und wie sieht es bei den aktuellen Neuzulassungen aus? Besser. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wuchs der Anteil der Elektroautos und Plug-in-Hybride an den Pkw-Gesamtzulassungen auf gut 2,6 Prozent.

Eindrucksvoller lesen sich die monatlichen Wachstumsraten gegenüber dem Vorjahr – vor allem die, der Elektroautos: plus 68,2 Prozent (= 4648 Pkw) im Januar, plus 82,1 Prozent (= 4637 Pkw) im Februar und plus 74 Prozent (= 6616 Pkw) im März. Währenddessen verzeichneten die Plug-in-Hybride im ersten Quartal Nachfrageverluste von bis zu 26,2 Prozent. Experten glauben, dass die Plug-in-Hybride nur vorübergehend schwächeln.

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen im Jahr 2030 mindestens sechs Millionen Elektroautos und Plug-in-Hybride auf deutschen Straßen unterwegs sind. Bei einer mehr oder weniger stabilen Gesamtnachfrage wäre dies ein Anteil von 21 Prozent am Pkw-Gesamtbestand. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hält sogar sieben bis 10,5 Millionen Fahrzeugen für möglich, betont aber: „Für einen schnellen Markthochlauf der Elektromobilität sind jetzt bestmögliche Rahmenbedingungen und entschlossene Anstrengungen und Investitionen aller Beteiligten sowie eine hohe Kundennachfrage nötig.“

Die Automobilindustrie steht mit dem Rücken zur Wand. Ohne Elektroautos und Plug-in-Hybride wird sie die strengen Umweltauflagen der Europäischen Union nicht erfüllen können. Sie schreiben für die Neuwagenflotte eine Reduzierung der C02-Emissionen bis 2021 um 28 Prozent auf 94 g/km und bis 2030 um weitere 37,5 Prozent auf dann 59 g/km vor. Werden diese Ziele nicht erfüllt, drohen den Herstellern immense Strafen. Deshalb investiert die Branche Milliarden in die rasche Entwicklung der Elektromobilität.

Dass sie gleichzeitig tausende Stellen abbauen muss, um die aktuelle Rendite zu verbessern und zusätzliche Mittel für die weitere Digitalisierung und Vernetzung ihrer Produkte zu generieren, verstärkt den Ernst der Lage. Brexit und Exportzölle bereiten weitere Sorgen. Noch ungeklärt ist auch die Frage, ob sich die Automobilhersteller als Lieferanten oder aktive Marktteilnehmer an der Gestaltung der Future Urban Mobility beteiligen werden, was weitere Milliardeninvestitionen erfordern würde.

„Es kommt alles zusammen. Das hat es in diesem Ausmaß in der 134-jährigen Geschichte des Automobils noch nicht gegeben“, stellen Marktanalysten fest. Deshalb sorgen sich die Hersteller auch so sehr, dass sich zu viele Kunden der Elektromobilität zu lange verweigern könnten. Die Vorbehalte sind bekannt: zu hohe Preise, zu geringe Reichweiten und eine unzureichende Ladenetzinfrastruktur. Der Schrecken der Hersteller: Neue Elektroautos, die wegen unzureichender Nachfrage auf Halde stehen und nur mit schmerzhaften Rabatten an den Mann gebracht werden können. Vor diesem Hintergrund weist VDA-Präsident Bernhard Mattes darauf hin: „Die Elektromobilität ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Industrie, Politik und Verbrauchern. Neben attraktiven Produkten setzen insbesondere auf einen beschleunigten Ausbau der Infrastruktur und auf wirksame und verlässliche Anreizsysteme.“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bereits angekündigt, dass er Elektroautos länger staatlich fördern wolle als bislang geplant. „Ich finde es industriepolitisch wichtig, dass wir unsere gegenwärtig bis 2021 begrenzten Förderprogramme für batterieelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride auf das ganze nächste Jahrzehnt ausdehnen“, sagte der Politiker in einem Zeitungsinterview.

Mit zusätzlich einer Milliarde Euro will Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den Ausbau der privaten Ladenetzinfrastruktur im kommenden Jahr fördern. Nach Angaben seines Ministeriums laden zwischen 75 und 85 Prozent der Besitzer ihr E-Auto zu Hause oder am Arbeitsplatz. Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass für den Fortschritt der E-Mobilität ein engmaschiges und gut funktionierendes Netz von Schnellladestationen mindestens ebenso wichtig ist.

Währenddessen setzt Herbert Diess seine Kampagne für das Elektroauto entschlossen fort, wo immer er dazu eine Möglichkeit hat. Geht es nach ihm, würden ohnehin alle Kräfte in Industrie und Politik ausschließlich auf die Durchsetzung des Batterieautos konzentriert. „Das sind wir den nächsten Generationen schuldig“, sagte Diess auf der Betriebsversammlung seines Unternehmens. „Ich habe viel Verständnis und Sympathie für streikende Schüler, die Angst um unseren Planeten haben. Sie sind unzufrieden mit uns, mit der Politik und den Unternehmen. Wir müssen die richtigen Antworten geben.“

Und in Frank Plasbergs ARD-Talkshow „Hart aber fair“ schwärmte er: „E-Autos werden super emotional. Sie machen Spaß, sie haben Seele. Das wird großartig. Es wird für viele Leute schwierig sein, sich gegen ein Elektroauto zu entscheiden.“ Mit solchen Aussagen hätte er das Zeug zum „PR-Manager des Jahres 2019“. (ampnet/rs)

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Ladestecker.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Wuttke

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